[2. Juni 1998]
Ich darf dich doch nicht dran beschuldigen,
dass dein Vater starb
vielleicht doch,
weil Du doch sein Sohn bist.
[3. Juni 1998]
Mit den Zetteln, in der Tasche,
wird die Sache schlechter machen.
Mit zwei Schriften
´rum die Gaffer
schmieren sie, das Endkampf-Schwatzen.
Befehl — richtet mich zur schönen Rosa-Roten
ungeschminkten,
wo die Affen kakerlakern.
Wie werd´ ich, was auf den Scheinen droht,
in die Hosen machen.
[Juni/Juli 1998]
Kleines Altes Haus — in dem New-Yorker-Wunder bebend
BLOCK
BLEIB STEHN!
Damit dich nicht zerfetzt!
Die Wölfe werden nicht lebendig von sonstigen Lebendigen
gefressen; noch Bären, Löwen, Tiger, Elefanten;
Haifische, Krokodile, Rhinozerose,
Grosse Affen.
[2. Juli 1998]
Ich schaue in den Spiegel.
Dieses Gesicht gehört dir überhaupt nicht!
dieser Körper ... gehört mir auch nicht ...
Was in dem Kopf drin steckt, das einzig gehört mir!
Kann mir niemand wegreissen,
wenn ich´s verkrallt beschütze.
Nein — , der gehört Dir auch nicht.
Ist alles — ausgeliehen.
Musst stark verdienen,
um hohe Wucherzinsen lebweis drauf zu zahlen
Dann ... junge schöne Freiheitsfrauen!
Eure Gebährmütter gehört euch auch nicht!
Sollt, mit Geburtspein Schwerzins hauen.
[3. Juli 1998]
Das Schreien von den Ferkeln,
die geschlachtet werden.
Das Betenseufzen von den Kühen
die mosaisch abgeblutet werden.
Das Judentoben in der Judenkammer.
Dich — Schwein! Wenn ich's nur könnte! —
Hätt dich leidenhaft ermordet!
Das Grauseln langkurz in der Grube Feuern
Endkugeln endlich kommend nackte
andrem liegend so-voll frostend.
Das Zischen Philistinverkehrs,
auf den New Yorker Wohlfartsstrassen.
Der Säurekaffee wird zum schwarzen Blut
von dem ich nicht ermordet.
[16. Juli 1998]
Der Freiheit gibt es nicht,
ausser: aller Pflichten von den Konstruktionen, freizuwerden.
Nichts Begehrenswertes ohne Antrieb machen.
Komm zurück:
vom Anspruch auf das schwergezwungne Ideale,
lebe nur, wie Schmetterling,
von alleine, auf das Süsse machend.
So nur, kann man im Schlaraffenland der grossen Freiheit
sich vergraben:
Die Natur und Menschenunheilslust so nicht verharren.
[Juli 1998]
"Es ist nicht möglich, zeitlich,
deine deutschen Poesien, zu redaktieren,"
faxt mir vom Weiten — diese Stimme,
"deswegen solltest du sie jetzt," Dreipunkt ... "Abtreten!"
dann — später, sie zusammenpauken aus all´ Verstecken
darum, sie später wenn die Sonne steht
und schöngerauchte Winde, quer,
deinem Waldesurlaub, weht,
sie nochmals nachzuahmen.
[6. August 1998]
ICE-CREAM-KUNST FÜR MUTTER MACHEN
Die lntelligentzia-Damen nehmen ihren russisch-Tee mit Russland-saurem süssem Kirschen-Eingemachten — und ich, woher? — bezaubere mein amerikanisch-eingetöpft´ Gefrorenes, in rosenthaler fayencefeiner — diesmal KaZet-Suppenschale. Die Mutter beugt sich, sie bedienend, sporadisch teilnehmend mit kurzneutralem Wortschatz, an der Unterhaltung.
Die Mutter achtet nicht auf die Skulpturformen, die ich in einer tiefen weissen schönen Porzellan- doch nur ´ner Suppenschale — und faktisch nur für sie, mit Hingabe kreierte. Da gibt es Gäste, ein paar Damen, im Salon. Ich zeige Mutter, was ich angefertigt habe, es ist von gelblich bleichoranger Pfirsichfarbe, gemischt mit tauend-Schnee Vanillaweiss. Es sei, so kann man sagen — abstrakt. Doch finden sich da eingewindet in dem Gefrorenen, Wege, Pfäde, einmarkieret; es ist also genau nicht nur abstrakt; es muss worüber etwas doch genau was meinen kundzugeben ... "Ich werde nichts mehr für dich machen, niemals — ", sag ich ihr und verlasse das Zimmer, weg, weit, von wo die Gäste und Mutter dort platzieren — ganz in die dunkle Hinterkammer, wo unser Dienstmädchen Bronya, auf das ich dann so geile war, einst lebte; wo ich so bös` enttäuscht bin und wobei, obwohl ich schon mehr als erwachsen mich betrachte, wobei mir beinahe Tränen, in Wut und arger Trauer kommen. Nein, niemals werde ich tiefgefühlte Werke für meine Leibesmutter mehr schaffen. Es mag schon besser so sein. Ich werde mich so besser fühlen — wenn es nicht mehr — nimmer — speziell für das was Mutter gilt, gemacht sein wird.
[7. August 1998]
Schluss! basta —
es gibt NICHTS KEINER im New York
nur Telefon und Faxgerät
zur weiten seitlich rückwärts Ferne,
die Nein-Kunst Brandruinen Lower East Side
ist zum entfremdeten Vergnügen
und Diamantenseide Upper East Side
sind vergoldet Schlussakt Getto-Zäune:
New York, der süchtig Flucht zum Ruhm und Abenteuer
einfach zu garnichts geworden
im Schneeflockfallen neugestempt´ler schneller Seelen —
ES WIMMELT: GARNICHTS: GALOPPIEREN:
am besten in der Wohnung bleiben
die Blocks-Baracken Höhlenkratzer-Strassen durchzufegen
nur in der leeren Nacht:
Zu Hause auf dem Scheiterhaufen der Papiere
glüht die tolle Arbeitswut —
für heile Geister und zukünftige Traumesmenschen.
[8. August 1998]
Jetzt kommen wir zur Sache.
Die SD-Leute kommen in das Wäldchen.
Die steinern Pflüge ätzen aus dem Klumpsand,
mit den SU-markierten ausgehungert Händen.
Die Grünen Letten-Bumser giessen grob ins Wäldchen.
Die Bäume stülpen sich kopfrunter
inkreischend sich,
in seines Plätzchen.
[15. August 1998]
Siehe Weib
: Gefäss
ansichzunageln:
Nachvielenspätertagen —
unbehaglich
einerlei:
Nachhernoch:
hassbare Statue
Sünden auszuschlauchen
Hasse-Hässliches aus sich herauszurauben — :
All-dem-zuvor:
mit Liebe —
— nicht berühren! —
heilig duftet mit der Mahnung
göttlich´ junge Mädchenseife
unbewusst der Wasserfälle:
Durchende Steine:
Jeder der führert
kriegt seine Karte:
Kriegt seine Strafe:
[15. August 1998]
Das Schwein liegt in dem Platz-Damm.
Warum denn Hundebeute braten?
Dem Schneiderkunstwerk,
mit den Broadway weltenbreiten Zoot-suit-Schultern
sind die Klappen abgefallen — —
und Rote Rosen
stillen Wodka zwischen Drachenzäunen.
Ich werde Stockpferd-Rennen machen lassen
solange dass ich König würd´.
[21. August 1998]
Nichts will gefressen werden
doch alles will doch fressen,
alles muss doch alles fressen:
Das wäre Humanismus,
mit einer Selbstbedienungs liberalen Klausel.
[22. August 1998]
Die Heldentaten, die ich nicht gemacht.
Die Greueltaten, die ich leider nicht vollbracht.
Die Meisterbilder, die ich nicht als Soutine— Sohn gebackt.
Die Zweifel, Grübeleien, die ich nicht in Schubladen vergrabt.
Das Wesen, das ich nicht zum Auferblühn gebracht —
das was ich nicht, zur Auferstehung konnte.
Toi-toi! der Stunden die sich um uns vernarrt.
Aufwiederleben: Strudel von den Alpenjägern.
[12. September 1998]
Die Lüge ist zu gross
da kann man nicht das einzig´ Wahre sehen,
verstellt im Abendland der Vorstellungen —
die falschgegoldet Ohrenringe schwervoll hängen,
verschliessen Eintritt zum geschlossten Ohr —
und draussen liegen Diamanten auf den Strassenpflastern,
die man im grell-Grauhimmel nicht zu sehen kriegt.
[16. September 1998]
ICH LEBE DESHALB
WEIL ES VORLÄUFIG NICHTS BESSERES GIBT.
[19. September 1998]
Da steht, in der weiten Gettoferne, ein kleiner ältrer Mann in minuskülem Schwarzpalteau gekleidet; und ganz allein — wie ein verworf´nes Waisenmädchen — in einem grossen Platz, zusammenbastelt von den vielen proletarisch-armen Innenhöfen; und Schnee, der Frühlingsschnee scheint´s mir, ist ausgelegt wie alter löchern´ Teppich — da zischt mir jemand, alsob man es nicht überhören sollte, unter Strafe! Alsob es grösstes strotzend´ Mörderreichs Geheimnis wäre, alsob nur ich jetzt in dieses Wunderbare nur persönlich eingeweiht jetzt würde (und nimmer darob sprechen!): "Das ist Professor Mintz." Der soll der Wundermann gewesen sein, der Herzen in den Zwanzig-Dreissigjahren mit blosser Skalpell reparierte; auch im Kollegium der Ärzte, beim Absterben des V. I. Lenins dabei war; im "Kleinen-Riga-Arbeitsgetto" war er bei der Klinik-Scheune. Er soll dann, bis nach Buchenwald, verkommen sein.
Dass solch ein nur ein Namen, nur stillgesprochene Berühmtheit und kein Napoleon noch Moses noch Sport— ob Filmstar noch delikater kurzer Vater Stalin, der in das Getto landete, um sich darüber Kummer machen aus dünner Luft erschienen sei — wie sich das Herz dann Jungherz sich über die Erscheinung klopfte. (Man sagt auch, dass der Wundertäter sich bei Kollegen in der Stadt verstecken könnte, doch absagte.)
[19. September 1998]
Das Volk ist nur an einem schuld,
dass es dumm ist.
Das neugebürgert Proletariat ist nur an einem schuld,
dass es nichts lernen will.
Die Oberschichten sind an einem — unter andrem — schuldig,
dass sie zu klug sind.
Die Künstler sind nur an einem schuld:
sie Künstemachers seien.
Die Kritiker und Intellektuellen sind bloss an dem schuld,
dass sie nichts erlebt haben.
Die Ökonomisten sind nur an einem haftig:
dass sie Fäden durch die Zähnelöcher strecken.
Politiker sind nur an einem unschuldig:
dass sie die Völker, Papas-Mamas, haben möchten.
Gott und die Juden sind daran schuld,
dass sie in Auschwitz zuviel Geld verdienen.
Die Freiheitsfrauen sind daran schuld —
die Dolche in verbergte Männer-Stellen stechen.
Die Profession der Mannesbilder trägt die schuld —
sich in die Mauselöcher bergen.
Die Lenker von den Sowjets hatten daran schuld,
in Tat zuviel Erfolg erhaut zu haben.
Die Demokraten sind stets unschuldig,
weil sie nur das Vergessen taten.
Wir alle haben Drinnenschuld
in Klostern Coca-Cola rauchen.
[28. September 1998]
Wo ist´s gesagt, dass man nicht stehen muss, wenn man isst?
dass man sitzen muss
noch besser, dass man liegen muss?
Wo steht's geschrieben, dass man überhaupt essen muss —
vielleicht auch gar nicht! —
und wenn man gar spezielle delikate Speisen schmecken denkt
bespricht man es im faulen Schlammesmarsch
mit einem Kameraden
und streitet sich darüber, was man serviert haben
und das erfüllt, wennicht befreit — und amüsiert
(beinah so gut wie es zu haben).
Ich lese reizend literarische Beschreibungen von genialen
Köchemachern in den be-sternten Restaurants
den da hübsch-fressen Sündnern soll's zum Kotzen.
Es ist der Fasttag, bei den Juden — heute
und der Erfrierungsschrank
ist festgenagelt mit gefrornen Kindern.
[30. September 1998]
Ich lieb das
FLUGZEUGS-MOTOR-BRUMMEN ...
und wenn ich höhr's,
ermittle ich,
es ist noch nicht alles verfallen.
Das Brummen höhrt sich auch hochsüber,
über New York-Stadt.
Zwei kleine Fliegerflugmaschinen
sind in dem Christus Kreuzlicht hoch-Himmels gefangen,
die ersten Sowjets, über schwarz-tunkt Riga Himmel —
Gotthilf ! sie nicht abfallen: kaum ...
Wir sind die stolz´ Insassen-Feuehrwehrler
mit den trocknen Schläuchen — — gegen was.
Dann ... fliegt ein Herd´ von Bomber-Bisons
fette, grobe, ganz niedrig unbesorgt und ungestört
unter den Dächern fast, des Magdeburger Lagers
doch wir sind müde schon. Verstehen nur.
Und niemand jaget "schnell!" in unbestehend Löcher.
Dann amüsieren wir uns, im Polte-Werke Keller,
wohin wir garnicht wollten.
Frühmorgens in der Röte, ersteigen wir den Flur,
beobachten, dass Stadt verschwunden ist,
in der speziellen Morgenstöte.
Jetzt brummert kleiner Motor über New York-Städtchen
verlässt mich in der Ferne meiner Bürde.
Nun heben wir, ... der blutig´ Düna nachost folgend
von Riga in den Sowjethimmel.
Unten, im Flugplatz Rumbula, Erschiessungsfriedhof,
steh´n Reihen MIG´s in ihren dachlos´ Bullenställen
die Ehrenwachen:
Abtriebsbereit.
[1. Oktober 1998]
Ich gehe schlafen, für eine Woche,
und bin dann wach, energisch, einen Tag:
Ist das nich so —
im Schlafe — auch — dreht sich — das Universum?
Den Alten Juden (Kommunisten!) wurd´ es schon gepaukt,
dass man nur Arbeit machen muss,
um Möglichkeit zu haben, Gott zu dienen.
[13. Oktober1998]
Was scheint die Lüge, fester auf die Zunge bringen
um Wahrheiten fürs Leben zwingen,
wenn nicht der Drang nach Mutterliebe,
Festes — durch die Propaganda schmäht
— Ich liebe dich mein Täubchen —
... und auch beflügter krallter Adler.
Schwebt! über Nächtern Nebels Hinterlassungen
und Überlastungen —
[15. Oktober 1998]
Ich bin nicht hier —
die Autobusse kreischen, auf der Avenue
und junge Leute beissen den Kaffee
damit mein Kaffee besser schmecke.
Das Panorama ist — wie es sein muss
ost-asiatische Studenten reicher Eltern
studierend scheinbar, Lebens machinations
in Sowjet Amerika.
[15. Oktober 1998]
Nicht buchhaltern doch attackieren
die Scheibe Brot nicht backen doch erobern stehlen
mit eines Risiko des Muts vergossner Muttermilchs.
[9. November 1998]
Die Russen-Chore
heulen, wie die alten Wölfe
hinter den Ostfronten
Wir lassen noch, die letzten Anglos —
überbreiten —
[14. November 1998]
Das Blut ist nichts als Rote Farbe
sowie ein Arzt
darf man sich nicht schockieren lassen.
Es fliesst in Sand, in Schnee, in Eis ...
gleich der Aktion auf Leinwandfläche
und leimt das Collagierte besser noch
als Sperma-Klebe
und ist nichts mehr als Nahrungsstoff?
gewürzt manchmal mit Leben, kaum vergehend.
Und wenn es trocknet, wird´s zu Braun.
[22. November 1998]
Im KaZet-Leben steht hervor
der Einzig-Jude
junger hagrer hochgewachsner Mann
schwarz— hochsteht er die Säule,
hinauf zur niedrig Oberlage
— und kein mehr Schwarzbebartet´! —
der in Tumult von Wirbel
Morgens Waschraums Stutthofer Baracke
schaukelnd
sogar vielleicht mit Riemen um die Finger
und die Hand und linken Arm gefesselt
— Klotz am Stirn:
alleine betet.
[27. November 1998]
Den´ mehr Finanzierungsquälungen
und Vögel und Atomspiele zur Verfügung steht
sind auch bei gutem Recht bestimmt die besten Künstler.
[23. Dezember 1998]
Wenn sie schlägt —
dann stellt sie sicher
und wenn die grünen Lichter in den Augen funkeln
dann strahlt durch stinkend Hirnflut
der Alle-Frieden; Ruhe;
in dem besuchten Mahnmich Buchenwalde.
[30. Dezember 1998]
Sei vorsichtig, mit Juden sich zu eng zum Freund zu werden —
Es möchte noch von dir — dir selbst —
erwartet sein, mit Risiko von deinem Kopf, sie
Einstmal — zu verstecken.
[30. Dezember 1998]
Es ist ja nicht so schlimm, er will sie ja nicht töten
nur doch ficken.
Und es ist schlecht. —
ER —
will sie gar nicht ficken, nur töten.

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