[4. Januar 1999]
Er weiss zu reden. Er, wirklich, liebt es.
Seit jungen Jahren war er vogelfrei, mit der Gefahr dazu,
zu reden.
Spricht: Intelligentsiagemeinschafts-mässig —
Wunderbar im Ton, sich einer seiner Ohren anzuhören.
Spricht so begehrend, sich nicht zu verstehen.
Und es hat Kraft, sich so verreden.
Befriedigt alle Seelen —
— die Kadenzen.
[9. Januar 1999]
Was wollen sie denn?
Dass wir die hohen Treppen zu den Scheiterhaufen
schmausen?
Wir machen doch am Fusse ihres Aufstiegs:
Liebes Lager,
um da das Leben in Barbaren Fressheit
festlich zu berauben!
[12. Januar 1999]
Vilnius — PAM?
Und Burg-der-Magd, wo ist geblieben?
Und Philistiner rauchen die Falafel-Buden,
Kakerlaks mit Coca-Cola Erbsenbrühe,
wo Samson einst ins Grab — hinaufgestiegen.
[17. Januar 1999]
Du hast jetzt wieder einen würdig´ Schwanz —
kürz´ ihn doch zum Bussemachen.
[7. Februar 1999]
Ein Nazi,
der einem Getto-Juden ein Stück Brot — vergänglich
heimlich überlassen hat.
SS-Gardist, der eines Auge zugedrückt.
Die kleine blonde Arbeitsmagd, die so in Magdeburg —
gestillter Schleiferei-Maschine,
ein Butterbrot ziemlich versteckt
dem hübschen Hunger-Jungmann hinterlassen hat.
Aha! die alte krumme Lettin-Frau,
die — frostbeiss Freiheits-Boulevard —
auf der Parkbank, ein weisses Brötchen von sich liess
weghumpelte.
(Sie brachte es, bestimmt? absichtlich.)
Die sind so wichtiger als all Schreihälse
übersättigt
das Gute zu verblasen meint.
Ich jedoch geb dem Heim(at)losen keinen Penny.
[12. Februar 1999]
Ich will nicht liegen.
Ich will nicht schlafen.
Ich will nicht in die Hosen machen.
Ich will nicht auf die Berge kriechen,
um wie ein Knäuel runterfallen.
Will raufgezogen werden von der Gotteshand,
keine Strapazen.
Will nicht die blöde Menge,
die da strotzen, glotzen
als Akrobat den Hof ihn´ machen
trotzdem, dass Keiner ist nicht da,
um über mich zu lachen.
[19. Februar 1999]
Der schlaue Hund
keucht, wie eine Dampfmaschine bitte bitte
— lassen sie mich doch zu ihren Füsschen legen.
"Na", sagt das Raubtier auf dem Sessel,
"wenn´s ihnen, — ausgezeichnet! — so gefällt."
Das Telefonen-Appellat,
naturaus, zerstört die Idylle.
[12. März 1999]
Die Striptease-Ladies krallen Messer
in den beringten Pfoten
sie schlemmen Schnitte in meine Schatten
und tropfen Rot-Schwein auf deine Zitzen.
[13. März 1999]
Es sind nicht nur die Proletarier,
die frommen alten Frauen, —
die solidarisch mit dem Leiden —
Kapitalisten haben auch internationalistisches
antirassistisches
Klasse-Brüderschaft Gewissen —
— in Guten Demokratisch Zeiten.
(Sowie ein Nicht— KaZet— Genosse, sowie ein Thyssen!)
[14. März 1999]
TOTENFRESSEN
— messen
TOTENHASS
Totenfesten, —
die hernach!
[20. März 1999]
Es sind immer dieselben Bilder.
Es sind immer dieselben nackten Gestalten.
Gibt es keine Neue? Von derselben Sorte?
Darf nicht immer nur die Mutter,
Neugier gebend,
auf der Wache liegen?
[22. März 1999]
Es gibt keine unschuldigen Künstler.
Es gibt keine unschuldige Genien.
Es gibt Künstler.
Es gibt Genien —
(— Falls das Wetter ihnen scheint.)
[3. April 1999]
NEUES GESETZ DER ÖKONOMIE:
ALLES, WAS VERKAUFT WIRD,
GEHT VERLOREN.
[18. April 1999]
Da Mädchen aus Memel —
ein Hinterer
auf Treppenflur
dann hochauf langsam auf den Treppen.
Die Sonne scheint draussen wie niemals.
Enthitzend
im Mittagshalbdunkel —
... Aufregend bebebend
das Hirn benebelnd —
— Ewig-zum-Lebend! —
Ist´s wahr? Es ist: Bestimmt.
Es gibt drei Mädchen aus Memel.
Alle schön, die eine ist die Schönste.
Sie, — mir geschenkt vom Himmel.
Wie, sich anschmiegen?
Das ist doch solch ein blütenreines Mädchen.
Wie darf man ihr es anbieten, sich zu verlieben?
Sie trägt die Sonnenbrille auch in dem Treppenhaus,
wo´s heiss— und— kühl und schwitz— ich
beinah düster,
und ihr herum schwärmt doch nur Hauch
von milder — ausländischen — Seife.
— Sie spricht kaum
schon nur paar Worte
geheimnisregend fremdes Hochdeutsch
(und nur wenn angesprochen)
— braucht sie kaum.
In leerer Wohnung, selbstgebrat`ne Eier, Frühstück.
Sie trug einen Rock, oder Hosen ...
Wie eilen Tage — sprungfertig, wann ich? —
In einer Woche so verschwinden werden alle drei
nach Memel.
Verschwunden warn wie Memel.
[18. April 1999]
Wenn die Jungherren keine Kriege machen
und uns Söldner nicht gut füttern
und uns Hund ob Weib ob sich nicht schlagen lassen
dürfen wir uns gen solch Herrschaft
Revoltieren!
[24. April 1999]
Es ist normal, dass Frauen öfters
auf ihren Höhen unerreichbar sind:
Sie — sitzen doch auf den Eiern.
[25. April 1999]
Der Kampf geht bald zu Ende.
Ja — doch — es gibt Sieger und Verlierer.
Verlierer feiern den Verlust.
Bissl Umstellung:
"Befreiung!"
Gewinner grübeln nach,
wie durch den Sieg, nicht unterliegen:
Was denn — sofort — kreieren?
[27. April 1999]
Ich möchte nicht,
Herr Mister Dreamsberg,
dass meiner Mutter ´hackte Knochen
den allerletzen Strip— Tease
in Zellophan geschmiedet
für Euresgleiche machen.
Wenn sie für Stalin tanzen sollte
dann wär`s OK.
[27. April 1999]
Die blitzend Meisterwerke
haben keine Kräfte:
Wer
in dem Kunst-Reich
hält das Hitler-Power?
Das stundenlange Stimmenheulen
meilenlanges zentnerschweres minimales
Metallquetschen
Theater-Kurzsicht-Galerie-Anlagen,
macht auch zum Hineinschlafen.
Wo gibt es schlichte —
— steingemetzgert — Zeilen?
[28. April 1999]
Man muss viel ruhen.
Kräfte sammeln.
Kräfte aus dem Alltal sammeln
um dann — gewagt — wie ein Raubtier,
wie ein urahn-Raubmann
mit momentan-Gefühl — falls es gegeben!
die Leinwand das Papier zu attackieren an der Kehle
wenn es fehlschlägt, dann wehe.
[3. Mai 1999]
LOVE —
sich in die Decken hüllen
halb schlafen wachen denken
Die Mutter ist nicht da
dann wär´s ein strammes Ostfront SD Fräulein
— das verliebt? Nicht, doch völlig zugetan,
schon: — warscheinlich bis zum Letzteren
KASCHA —
was un-deutsch Namen
russisch: Grütze
füllt dem entlaufnen Schoah
(der will nichts wissen!)
gut, das Schoah.
[20. Mai 1999]
Ich möchte einst ´ne Tänzerin
in Glanz — die sterneschwebend im Baléee ...
das war das Ideal der Wünschenssehne
Nun anno, ist´s die Streapteasin,
die mit der Peitsche gelernt hat,
die Welt und mich in religiöse Ordnung bringen
tief auf der Diele.
[21. Mai 1999]
Jetzt ... wird es mir beigebracht
wer Täter, wer Zuschauer —
wer abiturierender
Killer, Historieenmacher, Hysterieenmacher,
wer, Propaganda-Sachverständner
Holokausten-Nutzer
Ich bin verwirrt,
was tat ich denn?
Was Schlimmes tat denn meine demokratische,
jüdische, amerikanische, israelische —
SD-Tante?
Los! Bombt die Jugoslawen!
[23. Mai 1999]
Mein Richtig´ Girl — ist wirklich —
in — wie´s der Russische Amerikaner Irving Berlin
hat es so zuckersalz — verschmiedet — —
ihrem "Blue Heaven".
Manchmal jedoch lässt sie sich, bruchweis, sehen
als Pin-up Girl in literarischen
wie wirklich literarisch pornografischen Journälen,
wo durch die Zeit geschändet,
mit manchmal halbwegs offnen Beinen
sie lässt sich immer noch brachweis,
als wenig mehr als 16jährig stellen
auch manchmal seh ich ihres slawisch breitknöchig Antlitz
mit wollust jüdisch, fast afrikaner schmachten Lippen
schamhaftig so in Negligee
und Bloss gefoltert Büstenhalter, ausgekleidet
in vollblättrig´ Annoncen,
den Warenhäusern, auszuverkaufen.
Das Sehenstreffen wird mir wundersam;
schockierend — und dann sticht es!
Und wieso kommt es, dass soviel schöne Mädchen
im Druckschreck Müllhauf dieser Stadt
nah so genau — und heutzutag, wie sie, aussehen?
— Vom selben Reich und Schnee herausgetarnt
muss hier in diesem krassen Rassenwirrwar
stets, immer abgesondert, noch lange immer noch bestehen.
Es scheint, dass niemand
— auch Heiligstensgeehrte —
sei unikal.
[28. Mai 1999]
Die Fenster sind vermacht
es ist die ewige Nacht
und steil die Luft
mit Geistern schwebend Zuschauern
was nächstens nun geschehen würde
allein — zusammen —
in der barocken-post-modernen
klimatisierend murrend Gesangkammer
Felltier-Trophäen auf der Chaise-longue
und Hundeleben schnüffelt weitvon
hauchparfümiertes schweisses Tigerfleisch
jedoch ich mög, es muss sein
es muss passieren möge
es Kerzenlichter Flacker es fürworten
ein neuer Tag
mit rotem Wein
fliesst aus der luxuriös— beplastikt, Badestätte Röhre.
[6. Juni 1999]
Was gibt es Heut´ — als Pfirsichessen
GEBRANNTE MARMELADE?
[7. Juni 1999]
Die dicke Frau
setzt sich auf mich
und drückt mich tief in die Matratze
da muss ich zwischen Drahtspiralen
im Urwald allein leben,
sich vorbereiten, Heldentüme,
im Düster zwisch´ den Haaren zu begehen
später, Schicksale.
[8. Juni 1999]
Die halbe Welt jagt sich
sich da dreinzustecken,
wo die zweite Hälfte sich entwässert,
wovon sie Puppen vonsich, weltweg wegstosst.
[13. Juni 1999]
Ist das nicht wahr?
Die Hacken schielen in den Nacken.
Die Hacken schwellen auf dem Magen.
Die Luft schmeckt reich mit frischem Sauerstoff.
Wie Winde wehen, sonnenneu,
aus sogenannten Alten Zeiten.
[13. Juni 1999]
Jetzt müssen Löwenkinder
sich das Erdbeben aufgeben.
Stilllegen
sichnichtbewegen.
Kräfte schöpfen, aufzustehen.
Andere! — schon — heulen.
Es wird noch was — vielleicht — kommen.
Vielleicht — was ´rauskommen.
[20. Juni 1999]
Was ist das "Happiness", das Zimmer?
Steinhäuser Decken hauen.
Es lungert: Antipolis vergrössert, heuert:
und Draussen wirbeln faule Witter in das Loch,
doch in der Ecke kauern
verschliesst das Grauen in dem Fransensknoch´.
[26. Juni 1999]
Jetzt gehst du, draussen, raus spazieren,
den feigen Künstler, raus, nicht imitieren —
und da es dunkel dort, in diesem Ort
kannst du sie sehen, sie können doch
da es schon endlich Nachtlicht kriecht,
nicht dich kapieren.

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