"Vergangenes zu artikulieren heißt nicht, es erkennen "wie es denn eigentlich gewesen ist’. Es heißt, sich einer Erinnerung zu bemächtigen, wie sie im Moment einer Gefahr aufblitzt." - Die Angst vor dem Alten im Neuen ruft den Schrecken wach. Walter Benjamin hat das Bewusstsein vom Fortschreiten der Katastrophe und er hatte es schon vor der Katastrophe.
Sein historischer Materialist weiß, dass die Vernichtung der Deportierten militärisch gestoppt wurde, ohne die Deutschen, und diese haben bis heute keinen vernünftigen Grund gegen den Mord gefunden außer den der drohenden Strafe. Ihr Denken hat sich nicht von dem des Terrors lösen können, nicht von Blut und Boden, nicht vom "Eigentlichen", "Natürlichen", "Ursprünglichen".
Die Welt als Naturzustand, in dem die Menschen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken machen, bereitet keine Garantie, dass es sich nicht wiederholen konnte und inhuman ist jedes Denken, das uns glauben machen will, es wird zum Besseren sich wenden: Das ist die Ideologie des Naturzustands, die der Feinde der Emanzipation. - "auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört."
Die Deutschen haben gewonnen, sie haben den Krieg gewonnen und sie werden es schaffen, noch den kleinsten Einspruch, den ihre inhumane Praxis in der Welt hervorruft - sie werden ihn aufspüren -, zu Ihren Gunsten zu verbiegen. Sie werden noch den letzten Toten verhöhnen und verspotten. Der Deutsche ist die fleischgewordene Anti-Emanzipation. Sein schmieriges Handwerk ist die "Erinnerungskultur", in seinem Mund drehen sich die Fakten zu Lügen, ein kluges Wort: es wird schal und stinkt, sagt es ein Deutscher. In seiner Siegerlaune gewährt er "Bewältigung der Vergangenheit", die Wahrheil kostet ja nichts, es ist alles "bedrückend", "schrecklich", "unfassbar": Das ist das Repertoire jener Gossenpoesie, die jeder Deutsche, prahlt er im Ausland mit Opas Taten, ungefragt aufsagt.
Die Deutschen sind nicht interessiert an der versöhnten Menschheit sie wollen den Naturzustand. - "Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als die Kulturgüter." -- Noch die Dokumente der Barbarei taugen zur Beute, im Triumph, Auschwitz überlebt zu haben, stellen sie ihre Folterinstrumente aus. Sie dokumentieren ihre Kultur des Mords - das ist, was sie haben, seit sie die Emanzipation vernichtet haben und sie nennen es Kulturgut. »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft", das ist das Vokabular der Vernichtungsgewinnler: Sie scheißen auf die Opfer, sie sind die gönnerhaften Herren, die Almosen verteilen - sie jammern, verlangt jemand mehr, als sie ihm zugestehen. Ist jener hartnäckig, wird er zum Täter: Schlägt der Jude die versöhnend gereichte Hand aus, dann wehe ihm! Mitleid hat man mit den toten.
Alle Zitate aus: Über den Begriff der Geschichte, Walter Benjamin, 1940
NO-ART UND JEW-ART | Dienstag, 18.06.02 # 19.00 Uhr HGB, R. 2.41 | Ikonoklasmus und Blasphemie als Strategie agressiver Inkorrektheit. [Georg Bussmann, Düren]. Ein Vortrag zur Ästhetik der Erschütterung zur Herstellung von Fassungslosigkeit als Widerspruch zu falschem Bescheidwissen und »falschem Leben«.
BORIS LURIE | Donnerstag, 20.06.02 # 19.00 Uhr HGB, R. 3.48 | Ausschnitte aus Interviews mit dem NO!art-Künstler Boris Lurie und der ehemaligen Galeristin Gertrude Stein, New York 2002
NO!art UND DIE DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG | Freitag, 21.06.02 # 19.00 Uhr HGB, R. 2.41 | Negierende Ästhetik oder der Schock der moralischen Visualität [Rainer Rumold, Northwestern University / Chicago]. Vielleicht 15 Jahre nachdem Adorno und Horkheimer, im Exil in den Vereinigten Staaten, die Dialektik der Aufklärung vollendeten (1944; hrsg. 1947), verhandelte NO!art noch einmal die Fragen von Juden als Objekte grenzenloser Gewalt und Frauen als Sexobjekten. Im New York der späten 50er und frühen 60er brachte der Holocaustüberlebende Boris Lurie und Andere diese Probleme in eine Nähe zueinander, die sich auf dem Gebiet des Visuellen als so explosiv herausstellte, daß der mainstream der Kunstinstitutionen bis zum heutigen Tag diesen Schock nicht wirklich verarbeitet und verstanden hat. Das Dilemma einer adäquaten Rezeption von NO!art in der postmodern kritischen Arena scheint in dem sich widersprechenden Umstand zu liegen, daß die moralischen Ansprüche NO!arts marxistische sind und ihre Bildsprache als unmoralisch missverstanden wird.
ZU VIELE BILDER | Montag, 24.06.02 # 19.00 Uhr HGB, R. 2.41 | ...zu oft gesehen? Gegen die angebliche Trivialisierung des Holocaust durch Comics [Ole Frahm/Hamburg]. Der Diskurs über den Holocaust und der Diskurs über Comics schneiden sich an der Frage, ob nicht zu viele Bilder zu oft gezeigt werden. Es ist von einer »Bilderflut« die Rede, die bei diesen verdummt und bei jenem die historische Aufklärung verhindert. Der Lichtbildvortrag mit einigen unbekannten Comic-Beispielen wird ausgehend von der NO!art zeigen, daß die Kritik an der Quantität von der Frage ablenkt, was die Bilder überhaupt über den Holocaust aussagen. Gerade die Bilderreihung im Comic ermöglicht wie Art Spiegelmans Maus eindrücklich zeigt die genaue Reflexion und Kritik dieser Bilder.