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Retrospektive 2002 suchen und finden im NO!art-Archiv

SYMPOSIUM NO-ART UND JEW-ART
NO!art UND DIE DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG
Negative Ästhetik und moralische Bildlichkeit
Beitrag von Rainer Rumold

Download des ganzen Essays NO!art und die Dialektik der Aufklärung

Der gewollte Zusammenprall der Gerippe von KZ-Opfern mit aufreizenden üppigen Pin-ups in Boris Luries inszenierten und rücksichtslos zusammengestellten Collagen! Schockieren uns diese Bilder noch? Im Zeitalter des Informationsüberflusses werden wir täglich mit Bildern überschüttet, zuletzt aus dem Kosovo und Guatemala, die unsere tiefsten Gefühle und Werte verletzten - ohne uns Schmerzen zuzufügen. Wir werden ohne Schmerzen verletzt. Es scheint, als fehle uns die Zeit, ja der Glaube, an irgend einen ausmachbaren Grund dafür, diese Schocks bewusst aufzunehmen und aufzuarbeiten, um sie zu eigenen Erfahrungen zu machen. Daher schockieren mich Luries Bilder, um ehrlich zu sein, nicht mehr oder weniger als andere Bilder. Als ich den NO!art-Katalog der NGBK Berlin 1995 zum erstenmal durchlas, war ich vielmehr überrascht, dass ich diese Art von Bildern nicht schon vorher gesehen und dass die Kulturindustrie uns NO!art aus nicht offensichtli-chen Gründen vorenthalten hatte. Mit uns meine ich meinen Kollegen aus der Kunstgeschichte, der sich irritiert darüber zeigte, dass er nicht auf NO!art gestoßen war, als er zu Robert Morris’ KZ-Bildern forschte, die auf der documenta 8 (1987) ausgestellt waren. Auf einem seiner Bilder mon-tierte jener Ausschnitte, Vergrößerungen und Collagen von original KZ-Bildern zwischen den Leichen den stark vergrößerten und offensichtlich unversehrten, ja lebendig nackt wirkenden Körper einer jungen Frau.

Sind die Toten vor Kurzem lebendig geworden - zum Beispiel in Spielbergs’ SCHINDLERS LISTE (1993), präsentiert auf der Berlinale im Zoo-Palast oder mit James Molls LAST DAYS, produziert in Hollywood 1999, in der Hauptrolle die Holocaust-Überlebende Renée Firestone, die nach der Filmpräsentation mit Standing-Ovations geehrt wurde. Die Frage ist, ob ihr als Schauspielerin oder als Überlebende applaudiert wurde? Dann gibt es deutsche Filme wie AIMÉE & JAGUAR, eine Liebesgeschichte zwischen einer jüdischen Deutschen und einer nichtjüdischen Deutschen, und DER SPEZIALIST, ein Eichmann Film des israelischen Filmemachers Eyan Silvan . In unseren Kinos haben wir Roberto Benignis DAS LEBEN IST SCHÖN (1997) gesehen und es gibt die Kurzgeschichte DER VORLESER (The Reader ) des Juraprofessors Bernhard Schlink, die sich schon wie ein Drehbuch liest, etc.. Sind die Toten ins Leben zurückgekehrt, um - wie im Sinne von Walter Benjamins EINGEDENKEN - sich uns ins Gedächtnis zu rufen, oder erleben wir gerade den Höhepunkt der Ausbeutung des Holocaust durch die florierende Holocaust-Industrie, wie Nor-man Finkelstein skandalträchtig behauptet? Handelt es sich nur um Marketing, eine Mischung von allseits Bekanntem und Entertainment? Der deutsche Schriftsteller Martin Walser sprach 1999 sogar von der Instrumentalisierung des Holocaust für politische Zwecke. Das hat nicht nur nur die jüdische Welt verärgert. Mit der derzeitigen Ausstellung MIRRORING EVIL: NAZI IMAGERY/ RE-CENT ART im New Yorker Jewish Museum im März 2002, wurde in den USA ein neue Runde der Kritik des Umgangs mit der Erinnerung an den Holocaust eingeläutet. Vor allem Alan Schechners IT’S THE REAL THING. SELFPORTRAIT IN BUCHENWALD hat bei den Holocaust Überlebenden Anstoß erregt. Eine Generation nach dem Holocaust montierte der (jüdische) Künstler sich selbst, eine Diet-Cola haltend, in ein original KZ-Bild, wodurch Holocaustüberlebende sich beleidigt fühl-ten . Schechners Collage belastet (?) damit den amerikanischen Kapitalismus symbolisch, ähnlich wie Boris Lurie es viel aggressiver Anfang der 1960er Jahre in New York tat, mit dem Unterschied, dass nur wenige Notiz von der NO!art genommen haben. - Auf Walsers polemische Rede komme ich am Ende des Vortrages zurück. Auf Schechners IT’S THE REAL THING in der anschließenden Diskussion.

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